#jetzterstrecht nach dem Olympia-Aus
  05.08.2021 •     Verband , Beachvolleyball


Für Athleten ist die Teilnahme an den Olympischen Spielen der größte Traum in der Karriere. Hat man es dann wirklich geschafft, kann die Realität brutal sein: Karla Borger und Julia Sude sind schon vor der K.o.-Phase K.o. gegangen. Das bittere Ausscheiden im Shiokaze Park. 

Ein Kommentar von Tom Bloch

Gerade mal einen Satz haben Karla Borger und Julia Sude im olympischen Sand der riesigen leeren Arena im Shiokaze Park in Tokio gewonnen, beim Turnierauftakt gegen die Schweizer Europameisterinnen Anouk Vergé-Depré/Joana Heidrich. Danach folgten zwei weitere Spiele und insgesamt fünf weitere Satzverluste. Rien ne va plus. Aus de Maus.

Die schwankenden Leistungen bei den wenigen möglichen Turnierauftritten davor konnten entgegen aller, vor allem eigener Erwartungen, im Rampenlicht dieser so besonderen Olympischen Spiele nicht weiter stabilisiert werden. Es wird sicherlich mehrere Tage, gar Wochen dauern, bis diese Enttäuschung verdaut ist. Schon nach dem ersten Spiel sagte Karla Borger: „So macht Olympia keinen Spaß“ und meinte damit ihre Teamleistung.

Doch gleichzeitig darf man die Bedingungen dieser Spiele nicht außer Acht lassen, die so sehr von der Virus-Angst geprägt waren. Nicht nur Julia Sude fand es schade, dass die 12.000 Menschen fassende traumhaft angelegte Arena im Shiokaze Park leer bleiben musste. „Aber wir sind es ja die letzten eineinhalb Jahre nicht anders gewohnt.“ Dennoch, zu Beachvolleyball gehören Beats und Begeisterungsschreie, zu Beachvolleyball gehört eine ausgelassene Stimmung, gehört Party. 

Im wundervollen Stadion im Shiokaze Park gab es ein paar eingespielte Jingles und englisch-japanische Kommentare am Mikrofon, damit die Zuschauer vor den Bildschirmen zumindest etwas an Geräuschkulisse vorgesetzt bekamen. Beziehungsweise für ein bisschen Normalität für die Sandathlet:innen. Aber in den ruhigen Konzentrationsphasen beim Aufschlag konnte man dem Konzert der Zikaden lauschen, die sich in den vielen Bäumen in dem riesigen Park breit gemacht haben.

Sie hätten es sich also leicht machen und im Moment des Ausscheidens der versammelten Presse bei ihren bohrenden Fragen die ganze Corona-Geschichte als Ausrede herunterleiern können. Erst die Unsicherheit, dann die Verschiebung der Spiele um ein Jahr. Die Schwierigkeiten, ein vernünftiges Training aufzuziehen, wenn Höhepunkte fehlen. Die Schwierigkeiten, Leistung zu bringen, wenn regelmäßige Kontrollen wie die wichtigen internationalen Turnier erst lange Zeit gar nicht und dann nicht im üblichen Ausmass stattgefunden haben. Die Beeinträchtigungen, die man mit den ganzen Unsicherheiten und den belastenden Begleitumständen hatte. 

Und nochmal, diese so sehr fehlende Atmosphäre in dieser riesigen Arena. Man will sein Letztes geben, alles in eine Waagschale werfen, und während man dieses tut, bleibt es mucksmäuschenstill. Keine Zuschauer, kein Applaus, kein Jubel, der einen voran treibt. Trainingsspiel-Atmosphäre beim absoluten Höhepunkt im Leben eines Sportlers. Außerdem fehlte doch auch so etwas wie der Olympische Spirit. Die Begegnungen mit anderen Athleten im Olympischen Dorf, die sonst zum großen Gesamterlebnis beitragen, fanden nur hinter Mundschutz und Acrylschutzwänden statt.

All diese Umstände machten die Spiele in Vorfeld und vor Ort mental zu einer größeren Herausforderung als sie ohnehin schon sind. Wie auch die extreme Hitze bei sehr hoher Luftfeuchtigkeit und der teilweise böige Wind in der Tokioter Bucht. Doch Ausreden werden nicht gesucht. So leicht machten es sich Karla Borger und Julia Sude nicht. „Vor allem, Corona hat ja alle Teams betroffen“, sagte Karla Borger. „Was wir so von anderen Nationen gehört haben, waren wir anfangs sogar privilegierter dran, weil bei uns der Kraftraum schnell wieder offen war.“ Die Bedingungen sind zunächst einmal für alle Teams gleich, aber nicht alle kommen gleich gut damit zurecht.

Auch die personelle Betreuung vor Ort wäre verbesserungsfähig gewesen. Zwar durften Trainer Thomas Kaczmarek und Mentalcoach Nadine Volkmer (letztere kurzfristig) mitreisen. Doch die beiden bekamen keine Akkreditierung für das Olympische Dorf. Gemeinsam auf und neben dem Sand arbeiten ging nur bei den wenigen Trainingseinheiten, die überhaupt möglich waren.  Und über allem thronte der Druck, damit umgehen zu müssen, per Losentscheid in der schwerstmöglichen Gruppe gelandet zu sein: Aktuelle Weltmeisterinnen (Kanada), aktuelle Europameisterinnen (Schweiz) und freche Continental-Cup-Siegerinnen (Niederlande).

Kontrahenten, die man bislang noch nie geschlagen hatte, oder gerade mal einmal. Kontrahenten, die zugleich mit den drei größten Blockerinnen des Turniers besetzt sind. Doch weniger der Auftritt der jeweiligen Gegnerinnen gab den Ausschlag für das Ausscheiden in der Gruppenphase, sondern viel mehr, dass es nicht gelang, das Potential, dass in den beiden deutschen Spielerinnen steckt, gemeinsam abzurufen. Obwohl die beiden seit über zehn Jahren auf der World Tour unterwegs sind.

Mentalcoach Nadine Volkmer erklärte in einem Interview mit der ARD: „Die Menschen erwarten, dass die Sportler funktionieren. Aber kein Mensch kann immer funktionieren. Das widerspricht der Natur.“ Ja, es hat nicht funktioniert. Und das ist, bei all dem Einsatz und persönlichen Beeinträchtigungen im Vorfeld um das große Ziel zu erreichen, extrem schmerzhaft. „Ganz entscheidend ist für mich, die Erwartungshaltung im Vorfeld von solchen sportlichen Höhepunkten zu klären. Im Falle von Juli und Karla war aufgrund der bis dahin erbrachten Leistungen realistisch betrachtet von einem Top-10-Ergebnis auszugehen. Von außen wurde dennoch mit einer Medaille geliebäugelt und dadurch Druck aufgebaut“, sagt Volkmer. Dieser Druck von außen ist vielfältig. Medien, das soziales Netzwerk, das sportliche Umfeld, und natürlich hat man auch selbst eine gewisse Erwartungshaltung.

Umso tiefer fällt man.

 „An so einem Tag fragt man sich schon, wofür man das alles gemacht hat. Die ganzen Entbehrungen über die Jahre, keine Zeit für Familie und Freunde, Hobbies oder ähnliches. Nur um dann beim ‚größten‘ Turnier nicht zu performen“, vermeldete Karla Borger wenige Stunden später auf ihren Social-Media-Kanälen. „Ja, es nach Tokio geschafft zu haben, ist auch eine große Leistung. Aber wird sie auch gewürdigt? … Es fühlt sich gerade einfach nur miserabel an. Ich bin zwar dankbar, es nach 2016 noch einmal zu den Olympischen Spielen geschafft zu haben, aber so macht Olympia keinen Spaß. #karlaout.“ Damit meldete sie sich erst einmal ab aus den Social-Media-Kanälen, die sie sonst sehr gerne bespielt.

Über den Druck durch die Öffentlichkeit, die durch Social Media noch viel näher an die Athleten rückt, ist bereits vielfältig geschrieben worden. Weil eben auch andere Athleten nicht mit den Erwartungen zurecht gekommen sind. Turnerin Simone Biles oder Tennisstar Naomi Osaka füllten sofort die Schlagzeilen. Aber man muss gar nicht weit schauen. Auch im Beachvolleyball knirscht es. Adrian „Mr. Skyball“ Carambula vom italienischen Team kritisierte nach seinem Ausscheiden gemeinsam mit seinem Partner Enrico Rossi noch in der Vorrunde seinen Verband, weil sein Trainerteam nicht mitreisen durfte. 

Eine ungleiche Behandlung der einzelnen Teams gibt es auch im deutschen Lager, wo seit Jahren aufgrund fehlender Gelder eher eine Mangelverwaltung herrscht, als dass strategisch nach einem Plan gearbeitet wird. Trotz der Goldmedaillen der beiden vergangenen Spiele hat der Deutsche Volleyball-Verband es nicht geschafft, diese grandiosen Erfolge zum einen für eine finanziell bessere Ausstattung zu nutzen, zum anderen ein sinnvolles und stringentes Talentförderungs- und Ausbildungsprogramm zu etablieren. Stattdessen wurde durch die Zentralisierung am Standort Hamburg für weitere Probleme gesorgt. Stattdessen liefern sich relativ schnell wechselnde Personen an den entscheidenden Stellen Scharmützel mit einigen ihrer Athlet:innen, anstatt diese auf Duelle im Sand optimal vorzubereiten. Zur Erinnerung: Zwei der vier Starterinnen in Tokio sind vor drei Jahren noch regelmäßig von internationalen Turnieren abgemeldet worden – vom eigenen Verband. Optimal geht anders.

„Grau is’ im Leben alle Theorie – aber entscheidend is’ auf’m Platz.“ 
Alfred Adi Preißler (1921-2003)

Am Ende liegt es immer in der Verantwortung und im Aufgabenbereich des Athleten, der Athletin selbst, mit Niederlagen umzugehen, diese zu verdauen, Lehren daraus zu ziehen.

Eine Woche nach dem Ausscheiden in Tokio meldete sich das Team Borger/Sude über die Sozialen Medien wieder zurück: Sie werden bei den Europameisterschaften in Wien (11.-15. August) an den Start gehen. 

#jetzterstrecht