Was für ein Jahr für die Flachter Blaubären. Nach dem Einzug in die zweite Bundesliga und dem abschließenden Klassenerhalt und Landespokalsieg für die erste Damenmannschaft fand am vergangenen Wochenende ein vorläufiger Höherpunkt in der über 120-jährigen Geschichte des TSV Flacht statt. Aus ganz Deutschland reisten die besten U18-Spielerinnen der Republik an, um den neuen Deutschen Volleyballmeister in ihrer Altersklasse zu ermitteln. Und als Gastgeber hatte der Deutsche Volleyballverband den kleinen und bis zuletzt in Volleyball-Deutschland weitestgehend unbekannten Verein aus dem Weissacher Teilort auserkoren.
Das bedeutete für die Mädels des TSV, die sonst großteils in der Verbandsliga auflaufen ein Kräftemessen mit den Besten des Landes. Große Namen fanden sich in den Weissacher Heckengäusporthallen, welche beide am Wochenende bespielt wurden, ein. Da war der SSC Schwerin, amtierender Titelträger und Meister der Nordstaffel um Bundesliga-Spielerin Leana Grozer; der RSV Borken mit der zweitligaerprobten U-Nationalspielerin Marika Loker; der Dresdner SC, dessen Spielerinnen zum Großteil ebenfalls in der zweiten Bundesliga aktiv sind und erst vor zwei Wochen in der Heckengäusporthalle zum letzten Heimspiel der Binder Blaubären antreten mussten. Die Nachwuchskader der Erstliga-Vereine aus Potsdam, Stuttgart und Wiesbaden sowie weitere hochkarätige Mannschaften aus dem ganzen Land. Alle kamen sie ins beschauliche Weissach, von dem viele vielleicht noch nie zuvor gehört hatten.
Sie sollten ein denkwürdiges Wochenende erleben. Denn bereits weit im Voraus hatte Markus Kliche die besten Kräfte des TSV um sich gescharrt mit dem Ziel, ein großartiges Turnier auf die Beine zu stellen. Akribisch waren Pläne geschmiedet, Ideen erdacht und wieder verworfen, Konzepte erstellt, Sponsoren akquiriert, Spielerinnen trainiert und sich riesig auf das Turnier gefreut worden. Das mehrköpfige Orga-Team, das bereits federführend dafür gesorgt hatte, dass die Blaubären bei ihren Gegnern in der zweiten Bundesliga für mächtig Eindruck sorgen konnten, rottete sich zum letzten Gefecht zusammen, um noch eine letzte bärenstarke Veranstaltung vor dem Sommer auf die Beine zu stellen. Auch das kurzfristige Drama der mangelhaft bedruckten Hoodies und Shirts brachte die stoischen Organisatoren keinesfalls aus der Ruhe. Jede noch so kurzfristige Herausforderung wurde mit einem müden Lächeln quittiert und einem blaubären-typischen „Das schaffen wir jetzt auch noch.“
Und sie sollten es schaffen. Am Donnerstagabend begann der Aufbau. Anders als zu den Bundesliga-Heimspielen mussten dieses Mal beide Heckengäuhallen aufgehübscht werden, doch das Team der Blaubären zeigte mit Bravour, dass es nicht nur seine eingespielten Abläufe großartig beherrschen, sondern auch immer wieder mit spontanen Anpassungen zurecht kommt. Am Freitag trafen die ersten Mannschaften ein und wurden aufs Herzlichste begrüßt. Nach ihren Abschlusstrainings und einer Nacht im einladenden Jugendgästehaus Leonberg fanden sich die Teams am frühen Samstagmorgen wieder in den Spielhallen ein. Und das Staunen konnte beginnen.
Eine Halle, die einem solchen Event mehr als nur würdig wirkte. Spielerinnen, Funktionäre und Ehrengäste kamen aus dem Staunen kaum heraus. Sei es der liebevoll gestaltete Außenbereich, auf dem sich mit Silkes Essbar und der Eiserei zwei hervorragende Essensstände positioniert hatten, der Eingangsbereich, in dem jede Frage ihre Antwort bekam, der verspielte Wegweiser, welcher jeder Mannschaft auf charmante Rieth-Art ihre Wurzeln zeigte; die monumentalen Landesflaggen der deutschen Bundesländer an den Hallenwänden oder auch der Walk Of Fame, der die Teamfotos der Mannschaften im Durchgang zwischen den Hallen zeigte: alles wirkte kaum wie eine heruntergekommene Sporthalle als viel mehr wie ein Tempel des Spitzensports. Alles war angerichtet und um 9 Uhr ging es los. Flachts Hallensprecher heizte den zahlreichen Gästen mit Ricky Martins „The Cup Of Life“ ein und brachte die Halle ein erstes Mal zum Kochen. Als dann der bekannte Imperial March erklang und die Mannschaften eine nach der anderen in die Halle schritten, konnte sich kaum jemand vor der Gänsehaut drücken. Mit Manager Michael Kaiser und Kapitänin Julia Cedeño aus der ersten Flachter Mannschaft kamen zwei große Gesichter dieses kleinen Volleyballwunders aus Flacht zur Sprache, bevor feierlich die deutsche Nationalhymne erklang. Lasset die Spiele beginnen.
Die Spiele begonnen. Die Meister der regionalen Verbände und mittendrin – der kleine TSV Flacht. 14 Mädels und zwei Trainer, die sich auf der ganz großen Bühne zeigen durften. Grund genug für viele Sportlerinnen, sich zu verstecken und klein zu machen. Doch der Geist der Blaubären hatte auch dieses Team erfasst. Ganz im Stile der ersten Mannschaft fand sich die U18 plötzlich unter Mannschaften wieder, gegen die sie eigentlich niemals hätten spielen sollen. Doch jedes ihrer Spiele gingen die Flachter Mädels mit dem Mut der großen Chance an. Zeigen, was man kann. Zeigen, was man will. Sich selbst zeigen. Das stand für das Team auf dem Programm. Und trotz wenig Zählbarem blieben die Mädels spielfreudig und ehrgeizig. Dem Flachter Credo „Wir sind jetzt auch dabei“ getreu, stellten sich die hochveranlagten Spielerinnen jeder noch so großen Herausforderung. Egal, ob der Gegner nun Wiesbaden, Freiburg oder Dresden hieß, das Flachter Team verkaufte sich sehr teuer in diesem stark besetzen Turnier. Das Publikum wusste das zu schätzen und war bei jedem Spiel der jungen Blaubären mit Vollgas dabei. Neue Gesänge („Hey, wir wollen die Blaubären sehen“) und auch der Support der ersten Mannschaft zeigten ganz deutlich den Zusammenhalt des TSV. Am Ende wurde mehr gekrächzt als gesungen, aber dies dennoch mit vollem Eifer. Der ganze Verein und das ganze Team blickt mit Stolz auf seine U18, die erste des TSV, die an einer Endrunde um eine Deutsche Meisterschaft teilnahm – und planmäßig nicht die letzte.
Aber nicht nur die Fans des TSV machten sich deutlich bemerkbar, auch andere Mannschaften wurden lautstark unterstützt. Da waren die Fans der FT Freiburg, die ihre Mannschaft unentwegt nach vorn sangen. Da waren die Fans der Erstligisten aus Schwerin oder Dresden oder auch die zahlreichen und lautstarken Anhänger des RSV Borken. Kurzum, die Stimmung war ein Tollhaus und jeder Fan hatte Spaß an diesem Turnier. Das natürlich auch einige hochklassige sportliche Momente zu bieten hatte. Da gab es das Gruppenspiel zwischen Potsdam und Freiburg, in dem Freiburg nach Rückstand im ersten Satz den zweiten Satz so stark begonnen hatte und auf den letzten Metern doch noch aus der Hand gab. Das Zwischenrundenspiel zwischen Borken und dem TuS Bersenbrück, der bis zur Mitte des zweiten Satzes wie der sichere Sieger aussah und dann doch noch vom RSV niedergerungen wurde, was den Livestream in Ekstase versetzte. Meister Schwerin, die im Halbfinale trotz einer furiosen Aufholjagd durch Leana Grozers Aufschlagsserie gegen Dresden den kürzeren zogen. Und dann das große Finale, in welchem sich der TSV Turnerbund München gegen die Mannschaft aus Dresden zum neuen Deutschen Meister krönte. Unzählige Spiele, die vielen der Beteiligten noch lange in Erinnerung bleiben dürften.
Am zweiten Spieltag, dem letzten in dieser Finalrunde, hatten die Blaubären die ganz schweren Geschütze aufgefahren. Der geheiligte Hallenboden, der sonst nur zu den Spielen der zweiten Bundesliga zum Einsatz kommt, war entrollt worden und das Set-Up eines echten Blaubären-Heimspiels wurde aufgefahren. Jeder, der es noch nicht gesehen hatte, wusste spätestens ab da: so sieht es aus, wenn Flacht zuhause spielt. Auch der bekannte Flachter Hallensprecher heizte über den ganzen Sonntag hinweg dem Publikum ein, beliebte Songs aus der Blaubärenhöhle wurden zelebriert, was auch die Spielerinnen der Mannschaften wie Schwerin oder Mendig in Feierlaune versetzen konnte. Als das große Endspiel ausgespielt war und sich alle Mannschaften zur Siegerehrung einfanden, gipfelte das Turnier nochmals in einer beeindruckenden Zeremonie. Die Auszeichnung von Münchens Spielführerin Sofia Varela als wertvollste Spielerin des Turniers, die bewegende Rede von Volleyball-Abteilungsleiter Yannic Hofmeister, die berührte, ohne zu kitschig zu werden; die anschließende Ehrung durch Volleyball-Superstar Frauke Neuhaus und ein letztes feierliches Singen der Nationalhymne, all das rundete diese Endrunde mehr als gelungen ab.
Es waren auch die Kleinigkeiten, die dieses Turnier in Flacht so besonders machten. Mannschaften, die vorsorglich aufgrund von schlechten Erfahrungen mit viel Verpflegung angereist waren und von der reichhaltigen Bewirtung in den Heckengäuhallen sehr positiv überrascht wurden. Begeisterte Gäste, die ob der Organisation, Atmosphäre und Gastfreundschaft aus dem Schwärmen nicht mehr herauskamen. Die Fotobox, die mit Freuden für die ulkigsten Erinnerungsfotos genutzt wurde. Oder auch die im Finale unterlegenen Dresdnerinnen, die in Jubelstürme ausbrachen, als sie erfuhren, dass sie zwar nicht den Pokal, dafür aber den heiß geliebten Taylor Swift Pappaufsteller mit in die Heimat nehmen durften. Es sind diese Geschichten, die eben nur der Sport schreibt.
Was bleibt von diesem Wochenende? Ein erschöpftes, aber glückliches Orga-Team, akkumulierte Millionen von gelaufenen Schritten; ein Streaming-Koordinator, welcher erstmals rennen gesehen ward und eine ganz klare Erkenntnis: die Blaubären sind zu Gigantischem fähig! Der Zusammenhalt und schiere Wahnsinn innerhalb dieses Vereins kann Berge versetzen. Der TSV Flacht ist spätestens jetzt auf der Landkarte von Volleyball-Deutschland angekommen und hat sich einen mehr als guten Namen gemacht.
Dieses Turnier markiert einen besonderen Meilenstein auf der Abenteuerreise der Blaubären. Alles, was da noch kommen mag.
Text: Michael Kaiser / Foto: Christoph Eberle
veröffentlicht am Montag, 13. Mai 2024 um 13:28; erstellt von Engelhardt, Torben
letzte Änderung: 12.06.24 10:10